Freitag, 17. August 2012

Besuch in Tram Tau

Ein Reisebericht von Ulrike Modro

Der große Tag! Wir haben die Nacht in einem Hotel in Nghia Lo verbracht, einem Städtchen in den Bergen, etwa 30 km von Tram Tau entfernt. Ich hab nicht allzu gut geschlafen, das Bett ist zu hart und ich bin einigermaßen nervös, wie das alles werden wird.

Zunächst gibt es eine abenteuerliche Fahrt durch die Berge. Das Wetter ist leider immer noch regnerisch, der Himmel grau und verhangen, Nebelfetzen hängen um die grünen Berggipfel. Enge, schmale Straßen schlängeln sich unaufhörlich bergauf. Zwischen den grünen Bergen tiefe Schluchten, durch die ein brauner Fluss fließt. Berge wie Zuckerhüte, die in der Ferne blau und verhangen wirken.
Die Straßen sind stark mitgenommen von den klimatischen Bedingungen, oft fahren wir über Steinhaufen, die aufgeschüttet wurden, um Löcher in der Straße aufzufüllen. Immer wieder sehen wir Kinder oder Frauen, die Kühe die Straße entlang treiben, damit sie dort ihr Fressen finden, das Terrain anderswo ist offenbar zu steil. Die Häuser sind aus Holz, viele erhöht auf Pfählen gebaut, riesige Räume für die ganze Familie, auf allen Seiten offen. Im Winter werden die Öffnungen scheinbar mit Fensterbalken verschlossen. Und wenn es kälter wird? Überall auf den Bergen sind Felder, Reisfelder, kunstvoll angelegt in mäandernden Terrassen, auch Mais und Bohnen werden angebaut. Ganze Berge sind bearbeitet, die Felder teilweise nur vorbereitet für den Anbau. Diese Berge sehen aus, wie mit einem Kartoffelschäler abgeschält. Unglaublich, was die Bauern hier leisten müssen!

Endlich sind wir in Tram Tau angekommen, einer relativ großen Bergsiedlung. Wir kommen in ein spartanisch eingerichtetes World Vision Büro. Unsere Betreuerin, eine ganz nette junge Dame, die sehr gut Englisch spricht, nimmt uns in Empfang. Sie zeigt uns eine Powerpoint-Präsentation über alles, was World Vision hier in Tram Tau schon geleistet hat. Dinge, die wir später selbst verifizieren können.

Wenig später geht es los: Wir besichtigen zwei Schulen, die von World Vision unterstützt werden. Die erste ist schwer zu erreichen, ganz oben am Berg und am Ende eines Talschlusses, auf der anderen Seite einer fragilen Hängebrücke. Unser Geländewagen hat allerhand geschafft, aber die Hängebrücke kann er nicht bezwingen, das wäre zu gefährlich. Also schwingen wir uns auf die Motorroller der World Vision Mitarbeiter und fahren weiter hinauf, über Stock und Stein und riesige Wasserlachen, bis wir die Schule erreicht haben. Mit der jungen Lehrerin gehen wir von Klasse zu Klasse. Es gibt vorwiegend kleine Kinder in dieser Schule, und die sind entzückend. Sie lernen offenkundig schreiben und lesen (Bücher und Hefte!) und sehen uns mit ihren großen Augen an. Wir bekommen auch ein Liedchen gesungen. Es ist allerliebst!

Anschließend geht es mit den Motorrollern wieder bergab. Es regnet immer wieder, aber Gott sei Dank immer nur kurz und nicht zu stark. Jetzt fahren wir zur Schule unseres Patenkindes A Ga. Die Schule ist viel größer als die erste, mit Platz für doppelt so viele Kinder. Hier gibt es auch Klassen für ältere Kinder. Schon am Eingang kommt uns unser kleiner Patenjunge entgegen, ganz schüchtern und verschreckt. Er ist genauso süß, wie wir ihn von den Bildern kennen, die wir von World Vision geschickt bekommen haben. Der nette Schuldirektor, von dem wir schon Briefe bekommen haben, nimmt uns mit einem gewinnenden Lächeln in Empfang. Wir setzen uns im Lehrerzimmer an einem Tisch zusammen. Uns gegenüber sitzen A Ga und sein Vater, ebenso schüchtern und angespannt wie der Junge. Dann haben wir endlich die Möglichkeit, ein paar Fragen an A Ga zu richten. Sein Lieblingsfach ist Vietnamesisch, flüstert er scheu. Mathematik scheint er nicht so sehr zu mögen. Die Situation lockert sich ein bisschen auf, als wir Gelegenheit bekommen, unsere Geschenke zu verteilen, jene für den Jungen und seine Familie und die, die wir für die Schule mitgebracht haben. A Ga's Vater lächelt, und die Sonne geht auf – so ein bezauberndes Lächeln! :-)


Anschließend bekommen wir eine Führung durch das Schulareal. In einem der Räume liegen die ganz Kleinen aus dem Kindergarten am Boden in Decken gewickelt und schlafen wie süße kleine Engelchen. Die Schule ist direkt an einem Abhang gebaut, an dem wir Felder entlang des Schulhofes sehen. Der Lehrer erklärt, dass die Schüler hier selbst für ihre eigenen Mahlzeiten vorsorgen. Sie bauen an und ernten, was sie zum Essen brauchen. Dadurch werden die Kinder auch des Ackerbaus im steilen Terrain kundig gemacht. Im Anschluss an das Schulareal befinden sich die Schlafräume für die Kinder: Wir erfahren, dass die meisten der Kinder die Woche über in der Schule bleiben, da der Schulweg für sie zu beschwerlich wäre. Von A Ga's Vater erfahren wir, dass A Ga nur für das Wochenende alleine zu Fuß nach Hause geht. Der Schulweg in eine Richtung dauert für ihn eine volle Stunde.

Warum das so ist, erfahren wir wenig später: Wir fahren die gewundene Bergstraße steil bergauf und bleiben nach einer Kurve stehen. Von dort aus geht ein zementierter Pfad sehr steil bergauf. Der Weg ist dick mit rotem Schlamm überspült, den es in den letzten Regentagen von den Berghängen herunter gewaschen hat. Etwa eine Viertel Stunde lang waten wir durch Schlamm bergauf und kommen dann an einer Holzhütte an, die an eine sehr primitive Sennhütte in Österreichs Alpen erinnert. Zielstrebig geht unsere World Vision Betreuerin auf die Menschen davor zu, die sie gut zu kennen scheinen. Die Mädchen tragen alle Tracht. Eine Tracht, die an die folkloristische Kleidung in den Anden erinnert. Weite, knielange Faltenröcke in kräftigen, bunten Farben, von den Trägerinnen von Hand bestickt, ebenso bunte Mieder und Jacken und Kopftücher, kunstvoll gewickelt zu einem voluminösen Kopfschmuck. Um die Waden tragen die Mädchen oft ebenso bunte Beinstulpen.

Ich frage mich, wie die Menschen mit diesem schwierigen Leben hier zurechtkommen. Selbst das Bebauen der Felder geschieht unter Lebensgefahr, die Hänge sind so steil, dass die kleinste Unachtsamkeit, eine Müdigkeit, ein Ausrutschen im Schlamm einen Absturz, eine Verletzung oder Ärgeres bedeuten könnte. Als wir später wieder an der Hauptstraße ankommen, steigen wir in unser luxuriöses, klimatisiertes Auto und fühlen uns komisch dabei.

Unser nächstes Ziel ist das Mittagessen im Dorf. Alles ist vorbereitet, der Tisch ist gedeckt. Der Schuldirektor ist da, alle vier Mitarbeiter des World Vision Büros, A Ga mit seinem Vater und seinem kleinen Bruder. Die Mutter ist leider nicht mitgekommen. Das Essen besteht aus einer Vorspeise, Gemüse und Fleisch, einzutauchen in zwei köstliche Soßen, Reis (natürlich!) und dem gekochten Blattgemüse, das uns wirklich gut schmeckt und das es hier überall gibt. Nach dem Essen gibt es noch Tee, dann neigt sich unser Besuch in Tram Tau dem Ende zu. Wir schütteln Hände, machen noch ein paar Fotos. Es war bezaubernd, die drei HOs kennenzulernen, man wird in Zukunft trotz der Entfernung sicher eine ganz andere, viel tiefere Beziehung haben, jetzt da wir einander persönlich kennengelernt haben.

Zurück im World Vision Büro werden wir über unsere Eindrücke befragt. Wir antworten, dass wir sehr zufrieden waren und dass wir den Eindruck gewonnen haben, dass World Vision hier etwas sehr, sehr Wertvolles leistet. Ich bin froh, dass World Vision so sensibel umgeht mit den Menschen in dieser Welt. Sie werden zu nichts gezwungen und es wird Hilfe angeboten, dort wo es notwendig ist. Es gibt noch ein kurzes Fotoshooting und dann machen wir uns mit unserem braven Chauffeur wieder auf den Weg. Der Besuch war wirklich kurz, aber er war wertvoll für uns, und vielleicht kommen wir ja bald schon wieder. Vietnam hat mich sehr beeindruckt, und das Entwicklungsprojekt Tram Tau sowieso…

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen