Freitag, 5. April 2013

Libanon: Der Gestank der Verzweiflung

Unsere Pressesprecherin Andrea-Christina Janousek hat im Rahmen ihrer Reise in den Libanon ihre britische Kollegin Nadene Robertson getroffen. Hier erzählt sie über die schwierigen Lebensbedingungen der syrischen Flüchtlinge im Süden des Landes:
Zunächst trifft dich der erbärmliche Gestank – der Gestank von Abwasser, Urin, Fäkalien und ungewaschenen Körpern. Ein Gestank, der mich würgt. Selbst nach Stunden haftet dieser Gestank noch an mir, an meinen Haaren, meiner Kleidung. Es ist ein Gestank der Verzweiflung.
Die Verzweiflung kommt von 120 Familien, insgesamt fast 700 Kinder und Erwachsene, die in einem halbfertigen, fünfstöckigen Betonbau leben. Hier gibt es sechs baufällige Toiletten zwischen all diesen Menschen: drei für Männer, und drei für Frauen. Das ist natürlich bei weitem nicht ausreichend. Der offene Abflusskanal vor dem Gebäude ist voll. Trotzdem spielen in Lumpen gekleidete Kinder dort. Wie wir gesehen haben, hat ein Bub den Fußball in einen Haufen von Fäkalien gekickt und ist anschließend in den Kanal gegangen, um den Ball wieder zu holen. Es ist kein Wunder, dass sich die Krankheit wie ein wildes Feuer ausgebreitet hat. Mehrere Kinder leiden an einer Halsentzündung oder
einer hoch ansteckenden Hauterkrankung, die durch die im Schmutzwasser lebenden Parasiten übertragen wird. Der einzige Weg, diese Kontamination innerhalb einer Familie zu vermeiden, ist es, alle Kleider und Betten chemisch zu reinigen. Doch das ist hier unmöglich. Hier gibt es weder sauberes Wasser noch Reinigungsmittel.

Zu Ende geträumte Träume
Diese Flüchtlingsfamilien sind offensichtlich alle aus der Stadt Al Houjaa, nahe Hamaa. Sie behaupten, dass die die Stadt zerstört und nacheinander ihre Familien, Verwandten und Nachbarn in den Libanon geflohen sind.


Ich habe mit Mustafa gesprochen, der erst gestern hier angekommen ist. Seine Familie ist vor zwei Monaten hier angekommen, doch er ist vorerst zu Hause geblieben, weil er in der Schule bleiben wollte. Letztes Jahr war er auf der Highschool. Er erzählte mir, dass er letzte Woche seinen Entschluss zum Nachzug zu seiner Familie gefasst hat, nachdem seine Schule bombardiert worden war. Ich habe ihn gefragt, ob er versuchen wird, seine Ausbildung im Libanon zu beenden. Er nickte und sagte traurig: „Nein, ich muss arbeiten und meine Familie unterstützen. Meine Träume sind nun zu Ende.“
Diese Familien haben in dem halb-fertigen Ouzaii-Gebäude in Saida im Süden des Libanon eine neue Gemeinschaft geschaffen. Das Gebäude sollte als Moschee und als Universität dienen, doch der Bau wurde gestoppt. Die Kabeln hängen aus den Mauern, und die Wäsche wird auf Teilen der unfertigen Balkons aufgehängt. Das nennen die Familien nun ihr Zuhause. Auf jedem Stockwerk leben die Familien dicht gedrängt, und eine dünne Plastikplane als Abgrenzung zu den Nachbarn ermöglicht ein wenig Privatsphäre.



"Wir leben schlimmer als Tiere"

Außerhalb eines Gebäudes versucht eine Frau den Korridor vom stinkenden Schmutz zu reinigen. „Überall ist Krankheit“, sagt sie zu mir. „Meine Tochter musste in das Spital gehen, weil sie eine Lungeninfektion hat. Ich hatte Angst, sie würde sterben. Ich versuche hier, mich um elf Kinder zu kümmern. Können Sie sich das vorstellen?“

Als wir gehen, beginnt ein Mann nach uns zu rufen: „Warum kommen Sie, uns Fragen zu stellen? Warum helfen Sie uns nicht? Schauen Sie auf uns: Wir leben wie Tiere; schlimmer als Tiere!“
Ich erkläre, dass ich hier versuche, Aufmerksamkeit für die Situation der Menschen zu wecken, und frage den Mann, was er der Öffentlichkeit mitteilen möchte. Er greift nach einem kleinen Buben neben ihm und zeigt auf sein stark geschwollenes, vernarbtes und entstelltes Gesicht. „Schauen Sie: Mein Sohn hat einen Granatsplitter in sein Gesicht bekommen. Er kann durch seine Nase nicht atmen und kann nichts mehr hören. Er muss operiert werden. Doch wir leben diesen Alptraum. Helfen Sie uns, um Gottes Willen, bitte helfen Sie uns.“

World Vision hat sich verpflichtet, den Not leidenden Kindern und Familien aus Syrien zu helfen. Wir unterstützen die syrischen Familien durch Hygienekoffer, Decken, Ofen, Gutscheine für Nahrungsmittel und sichere Plätze für Kinder, wo sie sich von den erlebten Schrecken erholen können.



Nadene Robertson, World Vision UK

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